Österreich, das Land der Berge, der Seen – und der ewigen ÖVP-Regierung. Seit 37 Jahren hält die Volkspartei (zumindest irgendwie) die Zügel in der Hand. Doch warum hat die Partei in all den Jahrzehnten so wenig umgesetzt? Wir haben den Blick hinter die „Stillstand als Erfolgsrezept-Kulissen“ der ÖVP gemacht, und haben folgende dem zugrunde liegende Strategien identifizieren können.

Langfristige Planung, nicht Stillstand

„Rom wurde nicht an einem Tag erbaut“, lautet ein bekanntes Sprichwort. Warum also überhastet Regieren? Die ÖVP verfolgt den Ansatz der »ultralangfristigen« Planung. Projekte, die in der Regierungsperiode 2020-2024 angekündigt wurden, sollen realistischerweise internen Planungspapieren nicht vor 2050 umgesetzt werden – wenn alles gut geht. Denn nur so kann man sichergehen, dass auch wirklich nichts überstürzt entschieden wird. Es geht ja schließlich um »unser Österreich«!

Während andere Regierungen hektisch auf Krisen, Herausforderungen und Wählerwünsche reagieren und sich mit Reformen, Innovationen und Veränderungen abmühen, hat die ÖVP erkannt, dass Stillstand auch eine Bewegung ist – nur eben sehr langsam. Warum Dinge verändern, wenn alles so schön in den Händen der richtigen Leute ist (und bleibt)? Reformen? Veränderungen? Sozialer Fortschritt? Das sind alles Modewörter, die ohnehin nach ein paar Jahren wieder aus der politischen Sprache verschwinden.

Wirtschaftswunder im Mikrokosmos

Manchmal sieht es so aus, als ob die selbst ernannte Wirtschaftspartei ÖVP sehr viel für die Wirtschaft tut. Aber das ist nur der Fall, wenn man „Wirtschaft“ sehr eng definiert – zum Beispiel als die eigenen Freunde, Verwandten und Gönner – kurz: »la Famiglia«. Denn für das eigene Klientel wurde Großes erreicht! Wenn irgendwo ein lukrativer Posten frei wird, dann weiß die ÖVP sofort, wie sie die am besten qualifizierte Person findet: Man schaut sich einfach im nächsten Parteitreffen um oder lässt den Zufallsgenerator jemanden aus dem Mitgliederregister aussuchen.

Innovationsblockade – eine Erfolgsgeschichte

Man muss neidlos anerkennen, dass es nicht leicht ist, so lange an der Macht zu bleiben, ohne sich von neuen Ideen anstecken zu lassen. Andere Regierungen lassen sich von Trends wie Digitalisierung, Energiewende oder gar Transparenz mitreißen – nicht so die ÖVP. Mit eiserner Disziplin wird darauf geachtet, dass der Innovationszug bloß nicht zu schnell fährt. Schließlich könnte man sonst vielleicht auf dem falschen Bahnsteig stehen!

Verwaltungs-Labyrinth

Die ÖVP hat eine besondere Leidenschaft für hochkomplexe Strukturen. Jeder Beschluss muss mindestens durch 27 Ausschüsse, 58 Unterausschüsse und danach auch noch durch das Büro des Vorsitzenden des Obmännerbeirats. Und wenn dann doch einmal ein Papier dieses sagenumwobene Büro verlässt, muss es erst wieder vom Rat der Bünde sowie von den einzelnen Bünden selbst – die natürlich auch mehr oder weniger umfangreiche interne Prozesse dafür haben – von vorne geprüft werden, um sicherzustellen, dass auch ja nichts unbemerkt bleibt. So wird schließlich Transparenz sichergestellt – auch wenn man so hin und wieder den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.

Eine Wand voller Hängereiter, Stichwort Stillstand.
(c) AdobeStock
Hier die Sitzungsprotokolle eines ÖVP-Unterausschusses betreffend der Frage, ob zusätzlich zu normaler Milch auch fettarme mit dem Geld aus der Kaffeekasse gekauft werden soll.

Perfektionismus

Die Volkspartei möchte alles bis ins noch so kleinste Detail durchdenken. Ein Gesetz wird nicht einfach beschlossen – nein, es muss von allen Seiten beleuchtet, zerlegt und wieder zusammengesetzt werden. Und sobald alle denken, dass es nun perfekt ist, kommt noch eine Evaluationsphase, in der alles wieder von vorne losgeht. Und danach noch Fokusgruppen und Umfragen, um zu testen, wie es beim Fußvolk ankommt. Perfektionismus erfordert eben Zeit – und viel Geduld.

Der Koalitionspartner

Man kann nicht alles selbst machen! Schließlich gibt es da auf der einen Seite den leider oft lästigen Koalitionspartner, der in der Regel für alles verantwortlich ist, was nicht funktioniert. Ob es nun die SPÖ, FPÖ oder die Grünen sind – die ÖVP hat stets einen Sündenbock zur Hand, der die verzögerten Reformen zu verantworten hat. Ein Umstand, der auf der anderen Seite intern durchaus geschätzt wird.

Das Streben nach Harmonie

Die ÖVP ist die Partei der (starken) Mitte, des Kompromisses und der Konsensfindung. Statt sich in sinnlosen Reformen zu verlieren, ist es ihr viel wichtiger, dass alle glücklich sind. Also zumindest die Parteifreunde, Gönner und Menschen an den »richtigen« und wichtigen Hebeln der Gesellschaft. Dass dafür ab und zu Gesetze oder Reformen auf der Strecke bleiben, ist nur ein kleiner Preis, den man für die innerparteiliche Harmonie zahlt.

Wahlkampf-Modus: ON

Manche behaupten, dass die ÖVP so viel Zeit, Energie und Geld in Wahlkämpfe investiert, dass sie gar nicht dazu kommt, tatsächlich zu regieren. Aber das ist doch Unsinn! Man muss sich schließlich immer auf die nächste Wahl vorbereiten. Immerhin ist es wichtig, den Bürgerinnen und Bürgern regelmäßig zu erklären, was man alles noch vorhat – und warum man es bis jetzt nicht geschafft hat. Denn „nach der Wahl ist vor der (nächsten) Wahl“!

Tradition ist Tradition

In Österreich geht nichts über Tradition. Die ÖVP hält sich streng an das Motto „Das haben wir schon immer so gemacht“. Und wenn man es immer so gemacht hat, warum sollte man dann etwas ändern? Kontinuität und Stabilität stehen schließlich über allem. Innovation ist nur etwas für ungeduldige Menschen!

Fazit

Am Ende bleibt eines sicher: Solange die ÖVP regiert, können sich zumindest ihre engsten Freunde sicher sein, dass sich nichts wirklich ändert – außer vielleicht ihre Kontostände. Aber das ist doch auch etwas, oder? Man könnte meinen, 37 Jahre an der Macht wären genug Zeit, um das eine oder andere Projekt abzuschließen. Doch die ÖVP hat den langen Atem. Veränderungen brauchen Zeit – manchmal auch ein paar Jahrzehnte. Aber keine Sorge, irgendwann wird schon etwas passieren.

Wahrscheinlich.

Vielleicht.

K2 – wir sind gerade im Redaktionssitzungsausschuss. Seit 1999.

(Bilder: AdobeStock)

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